Die sanfte Revolution
Lacrimosa live in Erfurt
30.09.2012 [db] Das Schöne und Berechenbare an Konzerten, auf denen sich die Schwarze Szene tummelt, ist eines: Mit Sicherheit wird Patschuli in der Luft liegen. Reichlich. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Outfits mit Bedacht gewählt und die Frisuren stundenlang zurecht gezupft worden sein. So auch am Sonntagabend im ehemaligen Gewerkschafthaus in Erfurt. Thilo Wolff und Anni Nurmi haben geladen. Zu einem ‚revolutionären‘ Abend. Doch deutlich weniger illustres Publikum wandelt durch das Gebäude als erwartet. Schließlich ist das letzte Konzert von Lacrimosa in Erfurt eine Weile her, so dass man doch mit mehr Zuschauern hätte rechnen können.
Ein Problem vieler Künstler ist nämlich, dass sie sich und ihre Fans zu Tode touren. Läuft ein Konzert an einem bestimmten Standort einmal gut, wird es immer wieder angesteuert. Manche Acts kommen jedes Jahr auf’s Neue und wundern sich dann nicht wenig, wenn das Publikum mit zunehmender Präsenz ausbleibt. Irgendwann gibt es live nichts Neues mehr zu sehen und zu hören. Im Jahrestakt gute Alben raushauen ist nicht jedem gegeben und so spielt man sich tot. Lacrimosa waren länger nicht in Erfurt. Daher hatte ich mit mehr Zuspruch gerechnet. Aber Thilo Wolff ist auch niemand, der es jedem Recht machen will und eine breite Masse anspricht. Er ist Sparte. Speziell. Und manchen zu sehr. Der Symphonic Metal mit gruftigem Charme ist vielen, auch nach Jahren noch, gewöhnungsbedürftig. Anders als bei Genrevertretern wie Nightwish sind die Songs nicht glattgebügelt und rund. Voller Pathos ja. Aber immer eckig, kantig. Der überkritische Zuhörer hört mehr Dissonanzen als Harmonien, mäkelt am Timing und Gesangstalent der Akteure herum und findet eh alles ein bisschen zu dick aufgetragen. Aber vielleicht soll es so sein. Vielleicht braucht es die Dissonanzen, um am Ende harmonisch zu sein. Um dem Gehalt der Musik mehr Ausdruck zu verleihen. Um symphonisch anschwellend die Hoffnungslosigkeit, den Weltschmerz und die Verzweiflung zum erklingen zu bringen. Lacrimosa sind Metal, sind klassisches Orchester, sind Gothic Rock – minimalistisch und bombastisch zugleich. Man kann sie lieben oder hassen. Gleichgültig sind die Schweizer Szenekennern nicht. Wenn man sie hasst, dann war man am Sonntagabend nicht im HsD. Liebt man sie, dann hat man an diesem Abend die kostbare Zeit genossen. Entweder euphorisch mitsingend in der ersten Reihe oder sich mit geschlossenen Augen im Takt wiegend etwas weiter hinten.
Lacrimosa touren ohne Support. Und das nicht ohne Grund. Die Setlist wurde am Ende der Tourplanung so lang, und kein Lied sollte wieder gestrichen, dass fast drei Stunden Show dabei herauskamen. Kein Platz für eine Vorband. Aber viel Platz für Lacrimosa. Platz für Angst, Einsamkeit, Satura, Stille, Inferno, Elodia, Fassade, Echos, Lichtgestalt, Sehnsucht und Revolution. Zeit für eine Reise durch mehr als zwei Jahrzehnte Lacrimosa. Die Anwesenden wussten das zu würdigen.